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Geschichte der Bibliothek

Da hat sich viel getan – Bericht über
eine ungewöhnliche Bücheraktion

Wer im Thomasianum die Dozentenbibliothek Zivilrecht dieser Tage betritt, staunt gewiss, egal ob vorgewarnt oder ganz unerwartet. Wie von unsichtbarer Hand wurden in kurzer Zeit die schön aussehenden, ordentlich aufgereihten Jahrgänge juristischer Zeitschriften und Urteilssammlungen gegen eine schon optisch deutlich buntere Sammlung verschiedenster Schriften ausgetauscht. Und auch ein erster Blick auf die Buchrücken befördert die Frage, wie kommen diese Titel in die Dozentenbibliothek Zivilrecht und was haben die Juristinnen und Juristen mit philosophischen, politikwissenschaftlichen, geschichtlichen, romanistischen u.a. Werken vor. Dazu folgende Geschichte: Im Herbst letzten Jahres schrieb Herr Horstpeter Kreppel „in einer traurigen Angelegenheit, nämlich dem Nachlass von Frau Prof. Dr. Brigitte Rauschenbach, die 2018 viel zu früh an Krebs starb“. Er war auf der Suche nach einer Forschungseinrichtung, die sich mit Genderfragen befasst. Als der Verstorbenen und ihrer Familie langjährig verbundener Freund war er beauftragt, die umfangreiche Bibliothek von Brigitte Rauschenbach einer interessierten Öffentlichkeit, bevorzugt in den ostdeutschen Bundesländern, anzubieten, um sie für die Genderforschung zu erhalten und zugänglich zu machen.

Auf die Juristinnen in Halle stieß Herr Kreppel vor allem wegen deren sichtbarer und langjähriger Aktivitäten im Rahmen des "Forums Legal
Gender Studies". Mit einigen per Cloud zur Verfügung gestellten Fotos konnten wir uns einen guten Überblick über die angebotene private
Sammlung verschaffen. Breite und Fülle der Titel waren beeindruckend. Ebenso beeindruckend und zugleich berührend war es, im Nachruf auf Brigitte Rauschenbach über deren wissenschaftliches Werk und ihren Lebensweg zu lesen. Und siehe da, Brigitte Rauschenbach war persönlich an der Transformation des Wissenschaftsbetriebes unserer Universität nach 1990 beteiligt. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin bildete sie an unserer Universität Lehrkräfte für das seinerzeit neue Schulfach Ethik aus. Es gab also eine klare Verbindung nach Halle, wenn auch nicht zur Juristischen Fakultät. Um im Wettlauf mit anderen angefragten Archiven und Instituten nicht zu verlieren, mussten wir zügig handeln. Die entscheidende Frage war nicht, ob wir diese Bibliothek wollen, sondern wo sie aufgestellt werden kann und ob wir mit unserem eigenen Begehren auch niemanden der anderen Fächer übergehen, vor allem nicht die Pädagogik oder Philosophie, die sich - gut vorstellbar - als fachnäher und auch der Person selbst näher sehen konnten. Wir erkundigten uns. Es gab keine vordringlicheren Interessen und so mussten wir uns nicht hinten anstellen. Unterstützung hatten wir uns von der Universitätsbibliothek erhofft. Allerdings konnten nähere Absprachen nicht getroffen werden, denn mit einer so vielfältigen Sammlung ließ sich in der geordneten Fächerkultur nichts anfangen. Dubletten durften nicht eingepflegt werden und das Besondere an einer Bibliothek als Sachgesamtheit, zumal in einem neuen Querschnittsfach, wurde ganz offensichtlich nicht erkannt. Wir wollten dies nicht als Rückschlag sehen, auf uns wenige Frauen allein gestellt zu sein. Vielmehr beförderten diese anfänglichen Hindernisse neue Antriebskräfte. Wir wollten keinesfalls wie andere Einrichtungen zuvor aus bürokratischen Gründen absagen. Wir wollten die Chance nutzen und mit der Übernahme der Bibliothek einer besonderen Forscherin ein Denkmal setzen und damit Visionen künftiger transdisziplinärer Genderforschung in Halle greifbarer, fundierter machen. Auf der Suche nach Unterstützung taten sichplötzlich ganz neue Wege auf. Die Professorinnen und Professoren des Zivilrechts waren bereit, ihre Dozentenbibliothek zu neuem Leben zu erwecken. Die Stabsstelle Vielfalt im Rektorat sah ein für die Genderforschung aus FEM-Power-Mitteln förderbares Projekt.

Die endgültige Zusage an die Familie, die Bibliothek zu übernehmen, war gesichert. Die Familie verzichtete auf einen förmlichen Vertrag und eine Spendenquittung und stellte die Bibliothek verpackt in 95 Kisten abholbereit zur Verfügung. Die Universitätsverwaltung organisierte deren Transport von Berlin nach Halle und mithilfe des Dekanats war die Zwischenlagerung auf dem Dachboden des Thomasianums erlaubt. Unsere Universität hat mit dieser beherzten Aktion beeindruckt – jedenfalls gingen fast zeitgleich mit den Bücherkisten private Spenden ein. Während wir in den letzten Wochen zum Teil überstrapazierende Debatten angesichts knapper Kassen führen mussten, wurden unserer Fakultät gleichzeitig private Spenden in vierstelliger Höhe zuteil. Der Nachlassverwalter, Horstpeter Kreppel (übrigens ehemals Prozessbevollmächtigter der Europäischen Kommission und Richter am EuGöD a.D.), hatte über unsere Aufnahmebereitschaft im Umfeld von Brigitte Rauschenbach-Wehland berichtet. Dies hat ein sehr positives Echo, begleitet von zweckgebundenen Spenden auf das Konto des Freundeskreises zur Eröffnung und Nutzung der Bibliothek ausgelöst. Mit diesen Geldern und den FEM-Power-Mitteln war es dann auch möglich, zwei studentische Hilfskräfte einzustellen.

Jetzt blieb nicht viel Zeit für die Umräumaktion, denn zu Beginn des Sommersemesters musste die Dozentenbibliothek als Raum wieder für den üblichen Betrieb zugänglich sein. Es mussten also 95 Bücherkisten vom Dachboden hinuntergetragen werden. Um für deren Inhalt notwendigen Platz zu schaffen, wurden die Regale auf der Längsseite leergeräumt und – nach 30 Jahren erstmals – gereinigt. Die entnommenen Bücher/Zeitschriften (BGHZ, RGZ und verschiedenen Zeitschriften, wie NJW, NJW-RR, BB, JZ usw.) wurden in Kisten verstaut und werden vorübergehend zwischengelagert. Das folgende Bild gibt einen Eindruck. In den kommenden Wochen werden die Titel peu à peu bibliografisch erfasst, so dass wir den Bestand auch elektronisch dokumentieren und künftig zugänglich machen können.

Derzeit planen wir gemeinsam mit Horstpeter Kreppel und Angehörigen und früheren Weggefährten von Brigitte Rauschenbach-Wehland für den 28. Juni eine feierliche Gedenk- und Einweihungsveranstaltung. Zugesagt haben unter anderem ihre langjährige Kollegin Frau PD Dr. Sabine Berghahn, ihr Bruder, Prof. Dr. Thomas Rauschenbach, emeritierter Direktor und Vorstandsvorsitzender des Deutschen Jugendinstituts, und frühere Kolleginnen der Martin-Luther-Universität. Das Programm wird Ende April veröffentlicht.

Wir danken der Familie für die großzügige Schenkung, wir danken allen, die mit Pioniergeist, Tatkraft und Ideen an der Übernahme mitgewirkt haben und damit zur Sichtbarkeit der Genderforschung an unserer Fakultät und Universität beitragen. Und wir danken den privaten Spenderinnen und Spendern für die großzügige Förderung.

92 Bücherkisten, die den Nachlass von Brigitte Rauschenbach enthalten. 
(Foto: Doreen Köhler im März 2022)

92 Bücherkisten, die den Nachlass von Brigitte Rauschenbach enthalten. (Foto: Doreen Köhler im März 2022)

92 Bücherkisten, die den Nachlass von Brigitte Rauschenbach enthalten.
(Foto: Doreen Köhler im März 2022)

Bibliothek im April 2022
(Foto: Anne Löser)

Bibliothek im April 2022 (Foto: Anne Löser)

Bibliothek im April 2022
(Foto: Anne Löser)

Bibliothek im Mai 2022, nachdem die Bücher ihren Platz im Regal gefunden haben. Der Bestand wird schrittweise katalogisiert. 
(Foto: Anne Löser)

Bibliothek im Mai 2022, nachdem die Bücher ihren Platz im Regal gefunden haben. Der Bestand wird schrittweise katalogisiert. (Foto: Anne Löser)

Bibliothek im Mai 2022, nachdem die Bücher ihren Platz im Regal gefunden haben. Der Bestand wird schrittweise katalogisiert.
(Foto: Anne Löser)

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