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Stellungnahme zu § 219a StGB

Stellungnahme zum Straftatbestand der Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft (§ 219a StGB)


Dezember 2017

Der Kriminalpolitische Kreis ist ein Zusammenschluss deutscher Strafrechtsprofessorinnen und -professoren, die sich mit Fragen der Strafrechtspolitik befassen. Nach eingehender Diskussion nehmen wir, die unten gezeichneten Mitglieder dieses Kreises, zur Frage der möglichen Reform oder Streichung von § 219a StGB wie folgt Stellung:

1. Durchdachte Neuregelung statt überhasteter Streichung


Aktuelle Einzelfälle sind für sich allein kein hinreichender Grund für  überstürzte Änderungen des Strafrechts, insbesondere wenn einzelne  Vorschriften – wie § 219a StGB – Teil eines kompromisshaften, aber in  sich abgestimmten  Gesamtkonzepts für ein bestimmtes Sachproblem sind.  Wenn jedoch eine inhaltlich zweifelhafte Vorschrift auch durch  restriktive Interpretation nicht auf einen akzeptablen Kern  zurückgeführt werden kann, muss nötigenfalls der Gesetzgeber tätig  werden. Dabei sollten jedoch auch die langfristigen Folgen einer  Entkriminalisierung – ebenso wie einer Pönalisierung – genau überlegt  werden.

2. Keine Strafbarkeit sachlicher Information über tatbestandslosen oder  rechtmäßigen Schwangerschaftsabbruch („Anbieten“, „Ankündigen“)


§ 219a StGB verbietet u.a. das Anbieten und Ankündigen von  Diensten zur Vornahme oder Förderung eines Schwangerschaftsabbruchs. Die  Strafnorm unterscheidet hierbei nicht zwischen der nach § 218 StGB  strafbaren Abtreibung, dem durch medizinische oder kriminologische  Indikation gerechtfertigten (§ 218a Abs. 2 und 3 StGB)  Schwangerschaftsabbruch und dem tatbestandslosen Abbruch nach erfolgter  Beratung innerhalb von 12 Wochen nach Empfängnis (§ 218a Abs. 1 StGB).

Zwischen  diesen drei Fällen bestehen aber gravierende Unterschiede. In den  letzten beiden, von § 218a StGB geregelten Fällen wird der   Schwangerschaftsabbruch – mit unterschiedlicher dogmatischer Begründung  – nicht bestraft. Daran soll festgehalten werden. Es ist aber  widersprüchlich, wenn das Strafrecht den bloßen Hinweis („Anbieten“,  „Ankündigen“) auf ein
Verhalten inkriminiert, das selbst kein tatbestandliches Unrecht darstellt.

Der  Gesetzgeber von 1981 hat mit § 219a StGB allerdings einen weiteren  Zweck verfolgt: Es sollte verhindert werden, „dass der   Schwangerschaftsabbruch in der Öffentlichkeit als etwas Normales  dargestellt und kommerzialisiert wird“ (BT-Drucks. 7/1981, S. 17).  Grund für die Beibehaltung des Werbeverbots nach § 219a StGB trotz der  Liberalisierung des Rechts des Schwangerschaftsabbruchs war also auch  die Sorge um das moralische „Klima“ in der Gesellschaft:  Schwangerschaftsabbrüche sollen in der öffentlichen Diskussion nicht als  ethisch unbedenkliche und alltägliche medizinische Maßnahmen  dargestellt werden.

Bloße neutrale und sachliche Hinweise auf die  Möglichkeit, einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen, haben  diese relativierende Wirkung jedoch nicht. Ein allgemeines Verbot der  öffentlichen Diskussion über Schwangerschaftsabbrüche entspräche auch  nicht der gegenwärtigen Situation der deutschen Gesellschaft: Zum einen  stellen Fragen der Abtreibung
heute kein Tabu mehr dar, und zum  anderen ließen sich allgemeine Redeverbote angesichts der nicht  steuerbaren Kommunikation in sozialen Netzwerken ohnehin nicht  durchsetzen. Nicht zuletzt ließen sich durch eine Streichung des Verbots  sachlicher Informationsweitergabe auch mögliche Konflikte mit der EU-rechtlich garantierten Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) minimieren.

3. Verbot anpreisender Werbung?


Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen bleibt als möglicher  legitimer Kern von § 219a StGB das Verbot des „Anpreisens“ von   Schwangerschaftsabbrüchen. Eine „rühmende Darstellung“ (so das  Reichsgericht in RGSt 36, 143 zum Begriff des „Anpreisens“ in § 184 Nr. 3  StGB aF) des Schwangerschaftsabbruchs kann in der Tat dazu führen, dass  die mit einem Schwangerschaftsabbruch verbundenen ethischen Konflikte  in der öffentlichen Wahrnehmung verschleiert oder verharmlost werden.  Durch eine unbeschränkte aggressive Werbung für Schwangerschaftsabbrüche  könnte außerdem auch heute noch das moralische Empfinden eines  beachtlichen Teils der Bevölkerung erheblich beeinträchtigt werden. Dies  spricht dagegen, § 219a StGB insgesamt ersatzlos zu streichen.

Nach  dem Prinzip, dass das Strafrecht nur zur Ahndung schwerer   Rechtsgutsverletzungen oder –gefährdungen eingesetzt werden sollte,  erscheint es vorzugswürdig, das „Anpreisen“ von Schwangerschaftsabbruch  angesichts des relativ geringen Unrechtsgehalts außerhalb des  Strafrechts als bloße Ordnungswidrigkeit zu ahnden. Auch andere Fälle  unerlaubter Werbung für an sich erlaubtes Verhalten – etwa für den  Genuss von Alkohol und Tabak (s. etwa  § 35 Abs. 2 Nr. 9 iVm § 20  TabakerzG) – sind nicht als Straftatbestände,  sondern als  Ordnungswidrigkeiten ausgestaltet.

4. Vorschläge


Auf der Grundlage dieser Überlegungen schlagen wir die folgenden Änderungen vor:

a)  Das Verbot des Anbietens und Ankündigens (einschließlich der  Bekanntgabe entsprechender Erklärungen) sollte auf tatbestandsmäßige und  rechtswidrige Schwangerschaftsabbrüche beschränkt werden, d.h. auf solche, bei denen mangels Beratung oder wegen Nichteinhaltung der Zwölf-Wochen-Frist  der Tatbestand des § 218 StGB verwirklicht wird und kein  Rechtfertigungsgrund (insbesondere nach § 218a Abs. 2 oder 3 StGB)  eingreift.

b) Ein Verbot des „Anpreisens“ auch von  Schwangerschaftsabbrüchen, die nicht tatbestandsmäßig bzw. rechtmäßig  sind, mag man beibehalten, wenn man in  solcher aggressiver Werbung eine  Störung der öffentlichen Ordnung erblickt. Ein solches Verbot sollte  jedoch nicht mit Kriminalstrafe, sondern als  Ordnungswidrigkeit mit  einem Bußgeld bewehrt sein.

Unterzeichnende


Prof.’in Dr. Susanne Beck, Universität Hannover
Prof. Dr. Martin Böse, Universität Bonn
Prof. Dr. Jörg Eisele, Universität Tübingen
Prof. Dr. Volker Erb, Universität Mainz
Prof. Dr. Bernd Heinrich, Universität Tübingen
Prof. Dr. Dr. Eric Hilgendorf, Universität Würzburg
Prof.’in Dr. Elisa Hoven, Universität zu Köln
Prof. Dr. Johannes Kaspar, Universität Augsburg
Prof. Dr. Hans Kudlich, Unversität Erlangen-Nürnberg
Prof. Dr. Marco Mansdörfer, Universität des Saarlandes
Prof. Dr. Reinhard Merkel, Universität Hamburg
Prof. Dr. Wolfgang Mitsch, Universität Potsdam
Prof. Dr. Carsten Momsen, Freie Universität Berlin
Prof. Dr. Cornelius Nestler, Universität zu Köln
Prof. Dr. Cornelius Prittwitz, Universität Frankfurt a.M.
Prof. Dr. Andreas Ransiek, Universität Bielefeld
Prof. Dr. Henning Rosenau, Universität Halle-Wittenberg
Prof. Dr. Helmut Satzger, Universität München
Prof.’in Dr. Anja Schiemann, Deutsche Hochschule der Polizei Münster
Prof. Dr. Christoph Sowada, Universität Greifswald
Prof. Dr. Brian Valerius, Universität Bayreuth
Prof. Dr. Tonio Walter, Universität Regensburg
Prof. Dr. Thomas Weigend, Universität zu Köln

Stellungnahme zum Straftatbestand der Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft (§ 219a StGB)
Stellungnahme zu § 219a.pdf (92,1 KB)  vom 15.12.2017

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